Wir fahren über die estnische Grenze,.Eine moderne Anlage, die Zöllner sprechen Deutsch. In einer Viertelstunde sind wir fertig. Uns fallen die hohen schweren Tore auf, die sich für unsere Durchfahrt öffnen. Und dann sind wir wieder in der EU. Ein großer Platz mit vielen Bäumen, bunte Geschäften, einige Busse und PKWs. Die Stadt Narwa ist sehr modern, McDonald’s wartet hinter der Grenze, große moderne Einkaufszentren. Auch die Mehrfamilienhäuser sind renoviert.
Es ist kühl geworden. Früher Abend. An der letzten Tankstelle vor der russischen Grenze haben wir zwei deutsche Fahrradfahrer (mit große Kindern!) getroffen, die die Strecke von den neuen Bundesländern bis jetzt nach Sankt Petersburg in Etappen – bisher mit ihren Kindern – gefahren sind. Sie fragen, ob wir eine Karte von Russland hätten. Und so komme ich an eine richtig gute Reise-know-how-Karte von Estland, sie bekommen dafür meine westrussische. Wir werden sie uns wieder zurückschicken. Vorher geben sie uns noch ein paar Tipps, was wir uns unbedingt hier an der Küste anschauen sollen. So machen wir uns jetzt auf den Weg nach Toila. Wir kommen durch Sillamäe, und fahren Richtung Meer. Was wir von der Stadt sehen, erinnert uns an Russland. Viele Grünanlagen, die Wohnhäuser wirken grau, daneben schöne alte renovierungsbedürftige Vorkriegsgebäude, die zum Meer hinunter führen. Kleine Geschäfte, versteckt wie dort, Garagenreihen, Hinterhöfe, wir geraten in einen. Als wir drehen, winkt uns ein Mann, der mit einigen Leuten vor einer Garage steht. Wir halten und er kommt an mein offenes Fenster. Er spricht Russisch und fragt wohl, woher wir kommen. Germania. Ah, Germania! Und küsst meine Finger, die auf dem offenen Fenster liegen. Sehr charmant, aber seine Fahne haut mich fast um. Nach herzlichem Abschied fahren wir weiter.
Schließlich erreichen wir das kleine Toila mit einem großen Hotel und einem kleinen Campingplatz daneben. Viel Platz auf Rasen unter hohen Bäumen. Die linke Ecke mit ca. 20 Wohnmobilen ist mit einem rot-weißen Band abgesperrt. Holländer on tour! Wir werfen die Heizung an und gehen mit Namkha an der Leine die Treppe hinab, die über die Steilküste zum Meer führt. Schön!
Heute ist es warm und sonnig. Eine junge Frau schaut sich die Karte auf der Minna an. Wir kommen ins Gespräch. Sie und ihre Freundin, Schweizerinnen aus Genf, sind mit dem Fahrrad auf dem Weg nach Thailand. Im Gepäck eine kleine Gitarre und eine Mundharmonika. Mit der Transsib werden sie von Sankt Petersburg bis in die Mongolei fahren. Wir unterhalten uns wunderbar! Sie werden so viel Tolles erleben! Wir umarmen uns zum Abschied und tauschen unsere Blogadressen. Nach Ausnutzung des kompletten Angebotes (heiße Duschen, Abwasch, Wasser fassen für den Tank) kommen wir immerhin noch bis in die Nähe des Valaste Wasserfalls. Wir parken in einer Gebüschlücke mit unglaublichen Blick auf den finnischen Meeresbusen/Golf von Finnland. Ein kleines modernes Café, eine strahlend freundliche Frau, ein junges Mädchen, das uns auf Englisch anspricht. Wir essen Pfannekuchen. Der Wasserfall ist ausgetrocknet, die tiefe Schlucht leer.
Vor dem Café treffen wir ein Overlander-Tandemfahrrad mit Liegesitz und Anhänger. Ein frabzösisches Paar auf dem Weg nach Kambodscha. Er ist Optiker und hat gut verpackt 160 alte Brillen dabei, die er dort unten Menschen, die eine benötigen, anpassen will. Wir erzählen ihn von den beiden Schweizerinnen, die jetzt so ungefähr 30 km vor ihnen her fahren, und geben ihnen ihren Blog. Das wird ein Aufeinandertreffen werden! Später spricht uns eine Frau auf Deutsch an. Sie ist Estin und wartet auf auf ihre Tochter – das junge Mädchen aus dem Cafe. Kompliment an die Mutter! Sie hat zehn Jahre für die Kriegsgräberfürsorge hier in Estland gearbeitet. So hat der unsägliche Krieg also auch hier stattgefunden. Sie spricht sehr gut Deutsch und erzählt uns, dass hier in der Gegend überwiegend Russen leben. Einige sprechen estnisch, viele nur Russisch. Sie kann beides, war schon in Deutschland und unter anderem in Krefeld. Gar nicht so weit von Aachen…
Weiter geht’s. Auf den Nebenstrecken finden wir kleine Orte, Häuser versteckt im Wald, alle aus Holz, restauriert. Erntereife Felder. Es wird Land zum Verkauf angeboten. Auch hier konzentrieren sich die Menschen auf die größeren Städte, da sie dort Arbeit finden. Aber offensichtlich kommen sie immer wieder zurück.
Wir erreichen Rakvere, dass zur Zeit der Deutschen im Baltikum Wesenberg hieß und die Ruinen einer alten Ordensburg vorweisen kann. An dieser Stelle stand vorher eine Burg aus der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausend, dann folgte eine dänischen Burg und schließlich baute der Deutsche Ritterorden diese Burg im 14.-16. Jahrh. Das Ganze gehörte mal den Schweden, den Polen und den Russen. Im polnisch-schwedischen Krieg von 1602 bis 1625 wurde sie dann zerstört, aber überlebte als Ruine. Sie ist gut erhalten, im Innenhof finden Ritterspiel für Jugendliche statt. Ich versuche mich im Bogenschießen. Die Geschichte der Ordensritter und der Baltendeutschen hat seine Spuren in der estnischen Sprache hinterlassen: Landsknechti! Namkha trifft ein Huhn, ich mit dem Hammer auf ein Kupferstück und habe so eine Erinnerungsmünze. Ein Deutscher, mit seiner Freundin für drei Monate unterwegs, interessiert sich für unsere Minna. Verstehe ich.Rakvere hat ein altes sehr schön restauriertes Zentrum, natürlich mit vielen Holzhäusern. Ich treffe auf zwei Läden, die richtig schöne Jacken und Pullover aus Wolle, Leinenkleider und -decken, tolles modernes Geschirr im nordischen Design anbieten. Mir fallen wieder die sehr hohen spitzen Kirchtürme auf.
Wir fahren in den Nationalpark Lahemaa mit seinen vier unterschiedlichen Halbinseln. Unterwegs entdecken wir Störche im Feld und ein altes Herrenhaus mit großem Park drum herum, Sagadi Manor. In einem Nebentrakt befindet sich ein Forstmuseum des RMK, der estnischen Forstverwaltung. Richtig gut gemacht. Interessante Darstellung von von allem, was mit Wald zu tun hat. Dazu ausgestopfte Tiere, Filme, Geräusche des Waldes, Darstellung, wie die Menschen früher Holz bearbeiteten für ihren Alltag. Ich bin beeindruckt! e
Lange Fahrten durch den Wald. Immer wieder kleine Holzhäuser, sehr viel bewohnt Hin und wieder sehen wir das Meer.
Und schließlich das Fischerdörfchen Käsmu. Namkha tobt herum und Alex muss sie holen. Beide sind sauer darüber! Vor dem kleinen Kunstmuseum steht eine große Gruppe von Koffern mit Anhängern ohne Adresse, aber vielen Städtenamen. Aus Beton! Neben dem Hafen gibt es einen kleinen Laden, der alles verkauft. Wir finden ein richtig leckeres festes helles Körnerbrot – das letzte. Die Sofas aus weiß gestrichenen Paletten sind alle aufs Meer ausgerichtet. Wir genießen unseren Kaffee.
Jetzt geht es den nächsten Finger des Landschaftspark hoch, immer weiter. Die kleine Straße wird ein Weg und der wird immer schmaler, Schließlich landen wir kurz vor der Spitze der Hlabinsel im Wald am Meer. Ein Stellplatz der Forstverwaltung, mit mehreren Grills, wunderbarem Trockenklo und viel Platz für mehrere deutsche Wohnmobile. Junge Familien mit Kindern. Sie spielen am Strand, die Sonne geht unter, Namkha tobt im Wasser. Wunderbar! Am nächsten Morgen runter zum Wasser. Es ist frisch. Namkha kann ein paar Möwen aufscheuchen. Wir frühstücken. Alex und Namkha gehen schwimmen. Auf einem Waldweg entdeckt Alex einen Frosch. Platt und vertrocknet! Das ist einer unserer besten Stellplätze!
Die kleine Straße führt uns über eine alte Steinbrücke plötzlich fühlen wir uns nach England versetzt!
Nicht weit vor Tallinn bewundern wir bei Kogi den Jägalla-Wasserfall. Mit 8 m ist er der höchste Wasserfall des Baltikums – naja, ist mit Norwegen nicht zu vergleichen. Die Gesteinsschichten unter dem Wasserfall sind ein paar Millionen Jahre alt und mit der Zeit immer weiter abgebröckelt. Unter dem jetzigen befindet sich eine 6-8 m tiefe Senke, in die aber immer wieder Gesteinsbrocken hineinfallen. In Frühjahr und Herbst kann der Wasserfall über 20 m breit sein. Das Ufer oben ist mit Moos bewachsen, alles etwas glitschig. Hier muss man eben auf sich selber aufpassen!
Wir erreichen Tallinn. Die alte estnische Burg auf dem Domberg wurde 1219 vom dänischen König erobert, der anfing, eine Stadt drumrum zubauen. Die Esten wehrten sich, der Schwertbrüderorden, der später in den Deutschen Orden einging, übernahm das Ganze 1227. Dann kam wieder die Dänen. Der Papst versuchte auch, sich die Stadt anzueignen. Dann verkaufte der dänische König seine Rechte an den Deutschen Orden. Amtssprache blieb Deutsch bis 1880. Zwischendurch kamen auch mal die Russen zum Zuge, der Deutsche Orden warf sie wieder raus. Die ganze Zeit wurde mächtig Handel getrieben, ausgehend von den vielen niedersächsischen und westfälischen Kaufleuten, die der Deutsche Orden dort angesiedelt hatte. Reval, wie Tallinn damals hieß, war eine der mächtigsten Handelsstädte an der Ostsee. Mitte des 16. Jahrhunderts besiegten die Russen den Deutschen Orden, Reval holte sich die Schweden als Schutzmacht. 1710 war wieder Russland dran.1918 wurde die selbstständige Republik Estland ausgerufen. Reval wurde zu Tallinn und diese die Hauptstadt der neuen Republik. Es gab einen kurzen Krieg mit den Russen. Man einigte sich. Der Nichtangriffspakt mit Hitler ermöglichte der Sowjetunion, sich Estland wieder anzueignen. Hitler ließ die deutsch-baltische Bevölkerung umsiedeln, Stalin schaffte die politische und kulturelle estnische Elite nach Sibirien. Dann holte sich Hitler das Land 1940 wieder und ermordete die jüdische Bevölkerung. 1944 bombardierten sowjetische Flieger die Stadt, nach dem Krieg wurde Estland sowjetische Teilrepublik und 1991 endlich wieder selbstständig.
Tallinn zeigt uns eine tolle Mischung aus moderner Architektur und alten Holzhäusern. Die zum Teil noch von der alten Burgmauer umgebene Altstadt ist sehr schön. Es ist die Zeit des baltische Festivals, das bis September geht. Auf dem Rathausplatz findet ein mittelalterlichen Markt statt, die Stimmung ist toll. Wir setzen uns dazu und genießen.