Schlafend rutschen wir ins neue Jahr. Als wir aufwachen, steht der Zug schon im Mumbai Central Railway Station und ist bis auf uns schon leer. 7:00h local time, es ist noch dunkel. Ein geschickter Sikh-Taxifahrer bringt uns in ein kleines Hotel unweit vom Taj Hotel. Der „reception man“ schläft noch hinter dem Tresen. Nach 10:00h ist das Zimmer frei. Wir gehen die Straße runter bis ans Meer. Links das alte, berühmte Taj Hotel und der Gateway of India. Die Straßen sind leer. Es dämmert. Einige Wolldecken mit Menschen drin schlafen auf den Bürgersteigen.
Letzte Nachtschwärmer, die ersten Spaziergänger. Happy New Year Wünsche für uns. Ein Mann mit Pelzmütze verkauft uns Tee aus der Thermoskanne. Tauben und Krähen picken an hin gestreuten Körnern. Eine Krähe haut mit einem leeren Plastikteebecher ab. Im Hafen viele bunte Fährschiffe aus Holz, Segelboote, draußen ein alter Leuchtturm. Wir sitzen auf der Kaimauer und stoßen an auf ein aufregendes neues Jahr.
Mumbai, eine faszinierende Millionenstadt. Am Meer gelegen, das überall Buchten und Lagunen geschaffen hat. Eine große Halbinsel parallel zum indischen Ozean.
Alt, laut, schmutzig, zusammengeschustert, runtergekommen, voller Menschen, immer! Und gleichzeitig vibrierend vor Lebendigkeit, bunt, voller Gerüche, nach Autos, Blumen, Abgasen, Gewürzen, Parfüm, Essen. Neugierig, hilfsbereit, beschäftigt. Prachtvolle, alte (oft eben nicht mehr ganz frische) Bauten aus der englischen Besatzungszeit, das Viertel der Fischer, ein Haufen bunter Hütten am vollgemüllten Strand unweit vom Taj.
Immer wieder das Aufeinandertreffen von jung und alt, schön und hässlich, arm und reich.
Verkehr wie in der Türkei und im Iran, nur noch doller! Das Hupkonzert – durchaus meistens nur warnend gemeint – ist unvorstellbar. Viele Motorroller und Motorräder, oft Hero von Honda. Oder auch die indischen Nachbauten der alten englischen Royal Enfields mit einem Klang wie eine Harley! Auf Lieferwagen, Trucks und Taxis die freundliche Aufforderung sich zu melden.
Ampeln gibt es, werden auch wohl beachtet.
Es ist Neujahr. Bunte Menschenmassen wälzen sich durch die Straßen am Hafen.
Bollywood-mäßig aufgemotzte Kutschen mit Marwari-Pferden (die mit den nach innen gestellten Ohrspitzen) davor. Besonders nachts sind sie der Renner hier zu unserer Verwunderung.
Vor dem Gateway müssen die Menschen die Polizeikontrollen passieren, um auf den Platz vor dem Tor zu gelangen. Eine der nicht immer und überall sehr konsequent durchgezogenen Folgen des Überfalls auf das Taj-Hotel.
Der Gateway of India, ein Mix aus englischen und indischen (Mugal-) Baustil, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut zur Erinnerung an den Besuch des englischen Königspaares, das ja damals auch Kaiser(-paar) von Indien war.
Davor fotografieren sich Familien oder werden von Fotografen mit kleinen tragbaren Fotodruckern in Positur gestellt. Unten im Wasser liegen nebeneinander schicke Jachten und Fähren aus Holz, ein- bis zweigeschossig. Sie laden Menschen ein und aus. Viele Straßenverkäufer, die Eis, unterschiedlichste Knabbereien, Postkarten, Getränke, Schmuck anbieten. Polizisten kommen, treten kleine Stände zusammen, die Händler rennen weg, bauen weiter hinten wieder auf. Am Nachmittag wird alles durch das warme Licht der sinkenden Sonne noch verstärkt.
Am nächsten Tag haben wir unser erstes Treffen mit Mustafa Merchant von Secoshipping (Sadikally Esoofally & Co., Estd. 1938), Dritte Generation Schifffahrtsagenten, das bringt einem dann einen solchen Familiennamen ein! Mit ihm hatte ich schon vor unserem Aufbruch im September die Reise vorbereitet. Die beste Neuigkeit – die Minna ist seit dem 30.12. im Hafen in Mumbai. Dieser Hafen hat nur einen Nachteil, wie uns Mustafa erzählt. Die Beamten dort haben zu wenig zu tun, so dass sie mehr aus Langeweile nicht da sind oder die Schifffahrtssagenten gern am nächsten Tag wieder antreten lassen. Und das führt dann zu diesen Horrormeldungen im Internet: „…mehrere Wochen/Monate im Hafen von Mumbai auf das Auto warten!“.
Ist nicht! Mustafa versichert uns, dass es 5 Arbeitstage dauern wird. 30. und 31.12. – Feiertag, Freitag sehen wir uns, Sonntag – Feiertag, Mittwoch soll die Minna draußen sein.
Am nächsten Tag fahren wir zur Elephant Island. Auf dieser Insel finden sich Höhlen voller Götter, aus Stein geschnitzt. Uralt. Ein weiteres Weltkulturerbe in Indien. Wir fahren mit einem wahren Seelenverkäufer vom Port 1 am Gateway ab, 10km hin und zurück für 1,80 € pP.
In der Bucht viele Schiffe. Vorbei an einem bebauten Felsen. Militär? Gefängnis? Auf der Reede liegen etliche Hochseeschlepper, auch ein holländischer darunter. Vollbeladene Fischerboote. Einige Ölplattformen weiter draußen. Vom Boot aus können wir den Hafen sehen, wo die Minna wartet.
Vom Ankunftssteg der Elephant Island (der Name hat nichts mit Elefanten hier zu tun!) fährt eine Schmalspurbahn über die 1 km lange Brücke bis zur Insel. Es herrscht Ebbe.
Von dort geht’s über 200 Treppen hoch bis zu den Höhlen, der Weg bis oben dicht gesäumt mit Verkaufsbuden. Die Preise scheinen oben günstiger zu werden… Es ist voll.
Die Höhlen sind beeindruckend! Tief in den Felsen reichende, große, von Säulen gestützte Hallen, an den Wänden sehr schöne Reliefs, freistehende Skulpturen. Einige scheinen für die vielen buddhistischen Mönche hier von großer Bedeutung zu sein.
In der Tempelanlage wird ein neuer Kanal gebaut. Alles in Handarbeit
Die Makakken hier sind ziemlich frech und durchaus erfolgreich.
Wir frühstücken edel im „Leopold“ mit Weihnachtsdeko im Taj-Viertel. Das Cafe war damals mit dem Taj Opfer eines terroristischen Überfalls. Kontrollen, aber nicht konsequent.
Bei unseren Touren per Taxi und mit dem Bus erkennen wir das unterschiedliche Preisniveau bei gleicher Strecke: Taxi für Neulinge in der Stadt: 100Rupien, Nicht-mehr-Neulinge (Taxi mit Taxometer): 58 Rp, Bus: 6 Rp pP… Doppeldecker gibt’s auch.
Wir entdecken vor Mustafas Büro eine Royal Enfield. Als wir ihn besuchen, von der Gold Wing erzählen, bietet er sie Alex für eine kleine Tour an. Wir glauben es kaum! Alex steigt auf und verschwindet…. Am nächsten Tag drehen wir noch eine gemeinsame Runde durch Colaba. Das hat was!
Wir machen eine Stadtbesichtigung per Auto, fahren die lange wunderschöne Strandpromenade Marine Drive an der westlichen Seite des Stadtzipfels entlang, wo bei Sonnenuntergang das Leben tobt, sehen die Haji Ali Moschee auf der kleinen Insel im Wasser der Bucht liegen, die bei Ebbe zu Fuß zu erreichen ist. Wir fahren über die große moderne Brücke, die diese Bucht abkürzt, im Hintergrund modernste Hochhäuser, davor kleine Viertel der weniger Betuchten. In Mumbai herrscht Bauboom.
Wir kommen am alten Viktoria Station vorbei, genannt CST – Abkürzung eines unaussprechlichen neuen indischen Namens
Das Edward-Museum ebenfalls mit neuem Namen
sehen noch viele andere wichtige Gebäude/gärten/Tempel/Kirchen.
Und dann das DhobiGhat, Mumbais Waschküchen-Slum.
Diese unglaublichen Massen von Hotel-Wäsche, Hauswäsche, Touristenwäschen – über Nacht erledigt! – werden hier von den meist männlichen Bewohnern bearbeitet. Per Hand, wohl eher nicht mit heißem Wasser – es dampfte nirgends – und unter Einsatz von Chemikalien.
Es soll ja auch alles sauber (= bakterientot) und fleckfrei sein… Ein Arbeitsplatz, der keine hohe Lebenserwartung verspricht.
Eindrücke aus der Stadt. Das Leben spielt sich auf der Straße ab.
Mittwochabend ein Anruf von Mustafa. Es sollte das letzte Geld bezahlt werden. Der zuständige Mann war eher nach Hause gegangen. Donnerstag früh ruft er uns an.
Wir warten also auf seinen Anruf. Nachmittags erfahren wir, dass im Hafengelände mit unserer Minna ein Export-VW touchiert wurde. Großes Palaver, Polizei? Eher nicht. Weiter Palaver. Nach aufwendigsten Verhandlungen und Bezahlungen mit den Hafenbehörden und VW am Freitag erreicht Mustafa die Freigabe der Minna am Samstag. Wir glaubens eher zögerlich.
Samstagvormittag ziehen wir mit Gepäck in Mustafas Büro um, gehen um die Ecke (mittags) frühstücken, während er zum Hafen eilt. Am Spätnachmittag fahren wir mit seinem Mitarbeiter zum Indira Dock Gate und starren in das Tor, aus dem Dockarbeiter und Beamte strömen. Feierabend. Schließlich sehen wir die grüne Nase der Minna in die Hafenausfahrt einbiegen und dann – man glaubt es nicht – wird sie von einem Sicherheitspolizisten gestoppt und zurückgeschickt, weil, wie wir hinter her von Mustafa erfahren, der am Steuer sitzt, jemand zum hundertsten Mal die selben Papiere sehen will! Endlich aber fährt sie raus und wir haben sie wieder!
Nach einem kurzen Besuch in der Werkstatt von Mustafas Freund um die Ecke, wo Alex den Elektrikschutz für die ro-ro-Überfahrt wieder abflext, starten wir unsere Reise nach Sadri. Ein letztes Bild mit Mustafa, seinem Freund, Alex und der Minna in Mumbai!
Zwei Stunden für die 60 km Fahrt vom Süden Mumbais – Colaba – bis zum großen Tor stadtauswärts, wo wir ein letztes Importpapier abstempeln lassen müssen. Dann sind wir unterwegs!
Zwei Tage – 100 km nach Sadri in Rajasthan.
In Indien ist der Lkw-Transport alles.
Fahren bei Nacht ist schon aufregend. Auch auf der 4-spurigen. LKWs ohne Licht , Rikschas und Motorräder ebenso
Gefahren- und Umweltschutz wäre zu diskutieren.
An einer Toll-Station lädiert sich Alex einen Reifen und wechselt in persönlicher Bestzeit mit bewundernden Zuschauern mal wieder den Vorderreifen
Ich bin (leider) wohl durch mein käsiges Aussehen (im Vergleich zu den Indern) überall im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit
Wir biegen in die wunderschöne Straße durch die Aravalli-Hills nach Sadri ein.
Fahren durch Dörfer, sehen die berühmten Jain-Tempel von Ranakpur im Tal, wo die Hanuma-Languren leben
Und kommen an. Wir haben unser Ziel erreicht! Ilses und Hanwants Buti Bagh bei Sadri. 18.000 km, die so unvorstellbar beeindruckend waren. Wir sind glücklich. Und haben noch ein paar schöne Tage in Buti Bagh mit Ilse und Hanwant, Robert und Benjamin, die in der Minna Käse aus Kamelmilch herstellen – mariniert mit Mandarinen, Zitronen, Erdnußöl, Tomaten und Zwiebeln. Köstlich! – jede Mengen Hunde – die letzten, 2 Welpen finden sich abends von der Straße ein – Kamele, die morgens mit einem alten Raika und einer Dobbermann-Mischlingshündin auf die Wanderung gehen. Glückliche Hühner. Das Haus, der Garten. Sonnenuntergang.
Ilses Buch über ihr Leben mit und für die Kamele von Rajasthan wurde gerade veröffenlicht.
Ilse Köhler-Rollefson „Camel Karma“
Heute fliegen wir nach Haus, Katze schmusen. Ende Februar/Anfang März holen wir dann die Minna über die Nordroute heim.
Bis demnächst, ihr Lieben!