Nach 5 km fahren wir über die lettische Grenze bei Ainazi, einem ehemaligen Fischerdörfchen.
Wir kaufen noch ein bisschen ein. Diesel ist hier schon billiger. Alex guckt um die Ecke, ich sehe in ein paar kleinen Häusern noch kleinere Lädchen. Ich gehe mal rein, eine sehr nette Verkäuferin, die mir erklärt, dass dies der Ausstellungsraum des Frauenhandarbeitkreises aus Ainazi ist. Sieht auch so aus. Ich finde ein paar hübsche Ohrringe für 3,50 € und bewundere beim rausgehen die mit bunten Perlen und Holz vom Strand geschmückten langen Bänder vor dem Datenfenster. Sie freut sich. Als ich fast an der Minna bin, kommt sie hinter mir her gelaufen und schenkt mir ein Mobilé aus solchen Hölzern mit bunten Knöpfen. Ich freue mich sehr. Das fängt ja wunderbar an in Lettland!
Wir fahren ein bisschen die Küstenstraße und beschließen dann, uns den Gauja-Nationalpark anzuschauen. Vor Saulkrasti wässern wir noch einmal Nahmka, der See liegt direkt am Meer. Namkha springt vom Steg ins Wasser und läßt ishc gern von Alex am Nackenfell wieder rausziehen. Über Ragana fahren wir quer durchs Inland nach Sigulda, das für seine vielen Schlösser bekannt ist. Wir entdecken den Hinweis auf eine Seilbahn und wollen hin. Die Mitnahme von Hunden ist zwar den Schildern nach nicht erlaubt, die Seilbahnschaffnerin lässt Namkha aber rein.
Der Fluss Gauja soll sich über die Jahrmillionen 85 m tief in den Felsen gearbeitet haben. Wir sehen erst mal nur viele Bäume, über die wir sanft hinweg schweben. Mittendrin entdecken wir doch Wasser und in der Ferne eine Burg – die von Traida? Plötzlich sehen wir, dass uns auf Höhe der Seilbahn etwas entgegenkommt. Zum Jubeln! An dem Seil vor unserer Kabine rauschen uns zwei Paragliderinnen mit Selfiesticks entgegen! Mit Hilfe der langen Feder auf dem Seil kommen sie vor unserer Kabine zum Stehen und fahren mit uns zurück. Die Kabineninsassen haben viel Spaß! Oben an der Station nehmen wir einen Kaffee zu uns und sehen auf der gegenüberliegenden Seite ein prächtiges Schloss. Wollen wir sehen! Nach der Rückfahrt fahren wir mit der Minna über kleine Wege durch kleine Siedlungen, kommen an hölzernen Mehrfamilienhäusern vorbei und sehen dann irgendwann eine Mauer. Daran entlang erreichen wir durch eine ehemals prachtvolle Gutshofanlage das weiße Gutsschloss Krimulda. Es wurde 1897 von einem schwedischen General in Auftrag gegeben, der ein Verwandtes des damaligen livländischen Chefs der Gegend war. Erst ein Tuberkulosekrankenhaus, jetzt ein Sanatorium. Gefällt mir. Davor in einem Anbau ein Café, bei dem das Rauchen auch noch 10 m rechts und links vom Eingang untersagt ist…
Es geht weiter durch das Flußtal, Hügel rauf und runter. Das ganze kommt uns wie ein englischer Landschaftspark vor.
Ligatne, ein hübscher kleiner Ort, wo das erste Industrieprojekt in Lettland, eine Papierfabrik startete, Die Firma wurde 1815 von Justus Storch, einem Baltendeutschen, gegründet und später weiterverkauft. Sie existiert heute noch. Ende des 19. Jahrhunderts entstanden um die Fabrik Arbeitersiedlungen, ein Krankenhaus und Kindergarten und einiges mehr. Den Arbeitern wurde freies Wohnen, Heizung und Strom, Kindererziehung und Altersversorgung garantiert. Beeindruckend!
Wir sehen einen kleinen Hinweis auf eine Fähre über den Gauja-Fluß. Fähren sind ja sowas von unser Ding! Straßen werden immer enger und kleiner, wir kommen an mehreren hübschen Holzhäusern vorbei. Eine Reihenhaussiedlung für die Arbeiter! Die Straße wird ein Sandweg, zuletzt stehen wir am Fluss. Und bleiben. Der Fluss ist hier ungefähr 40 m breit. Die kleine Holzfähre hier, von einem breiten Fährmann an einem Stahlseil über den Fluss bewegt, stellt die einzige Verbindung zum anderen Ufer zwischen den Städten Cesis und Sigulda dar (ca. 25km). Wir stellen uns an der Seite unter die Bäume, setzen uns auf die Bank und schauen zu.
Das machen wir auch am nächsten Vormittag, als ein weißer Landrover übergeholt wird.
Wir stehen auf, das könnte interessant werden, er hat einen hochgezogenen Luftfilter!
Es sind Deutsche, nach der Anlandung, steigen sie aus und wir kommen ins Gespräch. Zwei Westfalen unterwegs. Karin, die Paderbornerin, und Klaus aus Rheda-Wiedenbrück haben viele Jahre Reiseerfahrung, davon einiges in Afrika. Karin schenkt mir gleich ihren Lonely Planet vom Baltikum, braucht sie nicht! So was von Glück! Als es anfängt zu regnen, verlagern wir das Ganze in die Minna. Viele Stunden später beschließen die Beiden, zum Einkaufen zu fahren und vielleicht sieht man sich ja hier noch mal wieder.
Wir wollen jetzt auch mal die Fähre nutzen. Bisher hat sie PKWs, Fußgänger und Fahrräder transportiert. Alex denkt, dass die Minna mit der angetriebenen Hinterachse beim Verlassen der Fähre wegen der sehr steilen Rampen diese wegschieben würde, da sie nur mit einer dünnen Kette am Steg gesichert ist. Daher sind wir nun Fußgänger. Wir setzen uns zum Fährmann, wir haben Zeit. Schließlich kommt ein deutsches dreieinhalb Tonnen Wohnmobil in Sprintergröße. Der Camouflage-tragende Fährmann überlegt, legt an der Zufahrtrampe ein paar zusätzliche Bretter, der Wagen rollt langsam drauf. Die Fähre geht schon kurz ein bisschen nach unten. Als der Fahrer bezahlt, reiche ich auch mein Geld rüber. Werde aber freundlich abgewiesen. „Free“. Sehr nett! Am anderen Ufer wieder ein paar dicke Bretter davor, und der Fahrer will darüber schleichen. Das gibt nix. Noch ein paar Bretter mit Gas und dann steht er auf Festland. Ein paar Autos kommen dazu, wieder rüber. Weil das so nett war, fahren wir gleich noch einmal mit. Beim Runtergehen sage ich „Spasiba“ und er spontan „Spaschalsta!“ Wir lachen beide!
Wir essen zu Abend, lesen und dann taucht plötzlich wieder der Landrover neben uns auf. Sehr schön! Sie haben lettisches 0-Promille-Bier mitgebracht. Wir diskutieren weiter die Welt und besonders Afrika. Wir erzählen von unserem Traum, die ostafrikanische Seite runter zu fahren und lernen viel von ihnen dazu. Wir sind auf einer Wellenlänge! Es wird elf, bevor wir ins Bett gehen und sie auf den Campingplatz nebenan fahren. Das Campingverbotsschild haben übrigens sie uns erst gezeigt. Vorher tauschen wir noch unsere Blogadressen und wollen Kontakt halten.
Am nächsten Morgen ist ihr Auto um elf Uhr immer noch verdunkelt und so fahren wir schließlich los. Auf dem Rückweg noch mal die Holzreihenhäuser mit Solar und Schüssel. Auf dem Kinderspielplatz entdeckt Alex noch einen kleinen hydraulischen Spielbagger von Volvo. An der Kreuzung in Ligatne kaufe ich bei einer älteren Frau für 0,80 € ein Kilo Tomaten. Sie fragt, woher wir kommen. Germania. Sie hat uns gestern schon an der Fähre stehen sehen…
In den Nähe von Ligatne liegt versteckt unter einem trostlosen Pflegeheim der strategisch wichtigste Sowjetbunker Lettlands, gebaut zu Beginn der sechziger Jahre im kalten Krieg. Hierhin sollte sich im Falle eines drohenden Atomangriffs die lettische Regierung plus Militärführung begeben, von Riga innerhalb einer Stunde erreichbar. Die Anlage war streng geheim, die Belegschaft aus anderen Sowjetstaaten wurde regelmäßig ausgewechselt. Um die Anlage auch sonst zu nutzen, durften nur Funktionärsfamilien, die Bescheid wussten und politisch sauber waren, hier ihren Urlaub verbringen. Nach der Wiedererlangung der Selbstähnlichkeit 1993 verheimlichte die neue Regierung Lettlands zuerst diese Anlage, bis sie sie 2004 der NATO vorstellten. Diese hielt das Ganze für inzwischen ziemlich veraltet, die Regierung gab die Anlage dann zur Besichtigung frei. 2000 m², bedient von 250 Leuten. Es gab ein Bett für den KP-Chef, die anderen sollten mal auf ihren Stühlen schlafen. Das rote Telefon für den Chef war auch zu sehen. Etliche Männer unsere Besuchergruppe ließen sich damit fotografieren…
In der hübschen Kleinstadt Cesis mit alter Ordensburg, regenverhangen, sehen wir ein Schild für einen Kamelpark. Muss ich sehen!
Beim Rausfahren aus der Stadt sehen wir den ultimativen Minimalgolfclub! Die Straßen werden immer kleiner, schließlich haben wir mal wieder Piste, es geht eine Weile durch den Wald. Dann sehen wir eine große Wiese mit professionellen Gehegen für Dromedare, Trampeltiere, Lamas, Alpakas, ein paar Hühnern und Gänsen und drei Eseln aus dem Perigord, als Kutschpferd verwendet. Kamelidenpark eben – bis auf die Esel… Ein Kinderzoo vom feinsten, macht denen sogar bei Regenspaß. Im Souvenirladen entdeckt Alex das pflegeleichteste auseinandernehmbare gut zu nutzende Kamel überhaupt! Wir fahren zurück an die Küste und stellen uns in Saulkrasti, einem Badeort für besser Betuchte, für zwei Euro fürs Parken und fünf Europa fürs Übernachten, an den Strand.
Der Sonnenuntergang entschädigt uns für alles.