Wir sind in Polen angekommen.
Seit 43 Jahren bin ich immer wieder in Polen, aber noch nie habe ich Danzig und die Marienburg gesehen. Und das haben wir uns nun vorgenommen. Hinter der Grenze begegnen wir als erstes einem dicken Kaltblüter mit Fohlen. Ich freue mich immer, diese Kraftbolzen, die in der heutigen Landwirtschaft nicht mehr vorkommen, zusehen. In Litauen trafen wir sie auch gelegentlich. Das Land hier ist wellig! Die Felder ziehen sich rauf und runter wie ein Wellenmeer.
Wir brauchen mal wieder eine Go-Box. Wieso kann sich die EU nicht mal um ein einheitliches Verfahren für den Mauteinzug kümmern?? Aufwendig und ärgerlich ist diese Besorgerei. Die Leuten an der Verkaufsstelle erfreue ich immerhin mit der polnischen Aussprache der Städtenamen, die ich für das Aufladen der Box aufzähle. Zum Trost für die Lauferei bekommen wir diesmal einen Kulli geschenkt.
Wir sind im früheren Ostpreußen und fahrendurch Masuren. Ein weiterer Traum aus Seen und Wald. Ulrike aus Gütersloh, mit der wir in Lettland in großer Runde so heiter gefrühstückt haben, hat uns einen Platz verraten und er ist wirklich zauberhaft! Ein großer See, von Bäumen umstanden, mit breiten Schilfgürteln, die immer wieder von winzigen Stränden und Stegen unterbrochen werden. Eine kleine Lichtung und sogar ein nach Wald riechendes Ökoklo! Hier bleiben wir, gehen mit Namkha schwimmen, lesen, schreiben, kochen mit unseren Gemüsevorräten, die wir an der Straße gekauft haben. Einige Angler fahren mit ihren kleinen Booten über den See, Es ist ruhig. Hin und wieder raschelt der Wind durch die Bäume, einige Vögel singen, der Himmel ist strahlend blau. Nachdem am Morgen die Sonne über die Minna durch die Bäume auf den See geschienen hat, scheint sie am späten Nachmittag vom Wasser her zu uns rüber.Es wird kühler. Wir schwimmen noch einmal im See. ein Schwan, eine Ente und wir drei. Absolute Stille. Das Licht wird golden, der Himmel beginnt sich zu verfärben. Schönes Licht!
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück. Ein paar Enten schwimmen auf unseren Strand zu. Unser angeblicher Entenlockhund wird zum Entenverbeller. Aber die Damen lassen sich überhaupt nicht beeindrucken. Unser kluger Hund dreht ab und spielt einfach weiter mit dem Holzstück, das er aus dem Wasser gezogen hatte. Später kommt noch ein deutsches WoMo. Zwei sehr nette Deutsche mit einem großen braunen Hund. Wir tauschen uns ein bisschen über das Baltikum aus und erzählen uns, daß Reisen als Rentner das Größte ist! Namkha findet auf der Lichtung eine Gummihandgranate und spielt begeistert damit. Wir erfahren, dass ihr neuer Bekannter sie in Schweden gefunden hat, aber nicht mehr drauf abfährt. Ein tolles Geschenk!
Tiefenentspannt geht’s weiter durch die Masurischen Seen Richtung Olstyn, das früher Allenstein hieß. Immer wieder alte Alleen, die selbst bei nicht ganz sauberer Windschutzscheibe einfach schön sind. Unterwegs kommen wir nach Mikolajki, ein hübscher kleiner Ort zwischen zwei Seen, verbunden durch eine schmale Verbindung, die von einer Brücke überquert wird. Die ist so niedrig, daß die Segelboote ihren Mast umlegen müssen, wenn sie sie passieren wollen. Wir entdecken einen Hof mit Booten und einem kleinen Restaurant direkt am Wasser – optimal für die Beobachtung Masten umlegender Segelboote bei einem reizenden kleinen Abendessen… In dieser Stadt gibt es ein Lyzeum mit dem Namen Marion Dönhoff, eine ungewöhnliche Ehre in Polen für diese ostpreußische Gräfin, die 1945 im Trek vor der russischen Armee aus der Nähe von Königsberg in den Westen floh, lebenslang sich für Versöhnung einsetzte, viele Jahre mit Helmut Schmidt Zeit-Herausgeberin war und den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt. Ihr Buch „Namen, die niemand mehr nennt“ über ihre Familie beschreibt die Vergangenheit in einer nicht mehr existierenden Heimat.
Noch ein Stückchen weiter. Wir finden einen Übernachtungsplatz neben der Straße mit Seezugang und lassen Namkha laufen. In einer Lücke des breiten Schilfgürtels kommen wir ans Wasser. Über uns der Himmel mit Myriaden von Sternen, die sich im Wasser des Sees spiegeln. So schön!
In Barcziewo sehen wir eine beeindruckende Ziegelkirche, umgeben von schönen alten Ziegelhäusern. Die Kirche ist für eine Hochzeit aufwendig geschmückt. Schließlich erreichen wir Jaroty bei Olstyn. Unser alter Freund Siegfried ist hier zur Schule gegangen. Zu seinem 80. Geburtstag soll er ein Foto von seiner alten Schule bekommen. Die zu finden ist leicht, wir fotografieren sie von allen Seiten. Dazu noch die kleine Ziegelkapelle gegenüber, die sieht auch alt genug aus – alles andere ist hier Neuzeit! Schräg gegenüber in einer Autofirma mit deutschen Inhabern sollen wir Grüße an eine alte Freundin ausrichten. Samstag, der Laden ist zu. Hinten arbeitet aber jemand an einem Auto. Ich übers Nachbargelände rangepirscht, werde aber schon zurückgerufen. Eine ältere Dame mit Fahrrad hat vor dem Tor gehalten, das Handy gezückt, sie hält es mir dann hin. Ich habe den sehr gut deutsch sprechenden Sohn der alten Freundin an der Strippe. Seine Mutter ist nicht da, wir bekommen die Telefonnummer. Sie ist nicht zu erreichen, bekommt aber noch eine Chance. Wir schauen uns erst mal Olstyn an. Unterwegs sehen wir MAN-Stadtbusse mit Euro 6. Könnten wir inzwischen in Aachen auch haben, wenn man vielleicht vor 20 Jahren, als die neue EU-Richtlinie zur Kontrolle der Luftqualität herauskam, angefangen hätte, an der Umsetzung zu arbeiten.
Allenstein wurde 1353 vom ermländischen Domkapitel gegründet, es gehörte zum weltlichen Besitz des Bischofs. Verwalter von 1516-19 und dann noch 1520 war der Neffe des damaligen Bischofs, der Domherr Nikolaus Kopernikus. Der hinterließ nicht nur eine schöne astronomische Berechnung der Tag-Nachtgleichen im Putz des Kreuzganges der Burg, sondern hielt diese auch noch so tapfer im Krieg der Polen gegen den Deutschen Orden, dass Allenstein nicht nur selbständig blieb, sondern er auch das durch den Krieg zerstörte Ermland wiederaufbauen durfte.
Ein architektonisch interessantes Kaufhaus begegnet uns. So etwas abwechslungsreiches sollten wir bei uns auch mal bauen. Allenstein hat eine schöne kleine Altstadt. Das Hohe Tor aus dem 14. Jahrh., das im 19. Jahrh. als Gefängnis diente, die St.-Jakobus-Kirche von 1370/80, die heute für das draußen wartende Hochzeitspaar geschmückt ist. Dazwischen ragt der Turm der Burg empor, Kopernikus lässt grüßen. Der Marktplatz mit dem alten Rathaus, davor Skultpuren von Menschen als Mahnmal zum 100. Jahrestag des 1 . Weltkrieges. Es ist Marktzeit und viel los. Wir sitzen also wieder in einem Cafe, bewundern die schönen Barockgiebel der Häuser und gucken Leute.
Wir erreichen die alte Freundin von Siegfried immer noch nicht und halten in Jaroty noch einmal vor ihrem Haus, um ihr einen Brief zu hinterlassen. Da spricht uns ihr Sohn an, der übrigens gerade von einem Motorradtour in Georgien zurückgekommen ist – ein ausführliches Gespräch folgt. Er wird unseren Brief an sie weiterreichen und wir machen uns nun auf den Weg nach Malbork. Wir brauchen dringend Wasser für unseren Haushaltstank. In den bisherigen Tankstellen konnte man uns nicht helfen, bis wir jetzt einen alten Tankwärter finden, der kein Problem damit hat, uns in der Waschstraße an den Kran zu lassen. Aufgefüllt und dankbar ziehen wir weiter durch die frühere ostpreußische Landschaft. Nach 2 Stunden ruft uns Siegfrieds alte Freundin an, zutiefst betrübt, dass sie uns nicht erreicht hat. Aber wir können sie wieder aufrichten, Siegfried wird sie anrufen.
Gegen Abend kommen wir Malbork an, das frühere Marienburg. Die Marienburg war der Hauptsitz des Deutschen Ordens, den der polnische Herzog Konrad von Masowien 1225 ins Land geholt hatte, um die heidnischen Pruzzen zu christianisieren. Schon in den siebziger Jahren dieses Jahrhunderts begann der Orden mit dem Bau der Marienburg. Sie ist die größte Backsteinburg der Welt und breitet sich über 20 ha aus. Sie besteht aus der Vorburg, dem Mittel- und dem Hochschloss, alle drei Einheiten konnten getrennt verteidigt werden. Drumherum ein tiefer Graben, ein einziger Zugang. Als es dunkelt, wird sie beleuchtet. Ein gewaltiger Anblick, als wir mit Namkha noch einen Spaziergang auf dem Wall machen.
Wir sind fast allein auf dem riesigen Parkplatz vor der Burg. Es gibt Apfelpfannekuchen, aus litauischen Äpfeln. Als wir später in der Minna lesen, hören wir draußen Musik. Wir gehen raus und sehen auf einem Stück Stadtmauer einen Film über die Belagerung der Marienburg laufen. Nur für uns, wir sind die einzigen Zuschauer. Am nächsten Morgen füllt sich der Parkplatz mit Bussen, Massen von Menschen strömen auf die Burg zu. Nach stundenlangem Anstehen ist mir gar nicht zumute. Wir spazieren noch einmal hin, mein Schatz verschwindet und kommt mit zwei Tickets und Kopfhörer zurück! Mein Schatz eben… Alex geht zuerst in die Burg, ich unterhalte derweil mit Namkha die Leute in der Schlange, die sich für unseren Hund begeistern. Sie ist wie immer ein Erfolg! Alex kommt zurück, beeindruckt. Mit dem Kopfhörer bewaffnet ziehe ich los, immer schön konträr zu den vielen Besuchergruppen. Mein Kopfhörer informiert mich trotzdem jedes Mal über den aktuellen Raum. Soviel Technik habe ich noch nie erlebt und bin sehr beeindruckt. Das Hospital mit vielfarbigem Fliesenboden und einer Granitsäule, die das Gewölbe trägt, der riesige Festsaal mit Löchern im Fußboden, durch die die warme Luft aus den Öfen darunter aufstieg, der Sommerrementer mit Fenstern auf drei Seiten, ein Versammlungsraum im Hochschloss, wo im Innenfenster eine Kanonenkugel steckt. Ein Verräter aus dem Kreis des Hochmeisters hatte dem Feind draußen gesteckt, wann hier eine hochkarätige Versammlung tagen sollte. Die Kugel sollte wohl die Granitsäule in der Mitte treffen, die das ganze Dach trägt. Daneben geschossen, aber die Geschichte macht sich gut. Die Küche mit eigenem Brunnen und Waschbecken, direkt daneben die Wohnung für den Küchenmeister. Die Versorgung der Gäste muss hervorragend gewesen sein. Die Kirche mit Resten alter Fresken. Breite Türen, schmale Gänge, steinerne Wendeltreppen,wieder ein neuer Hof, das nächste Gebäude. Der grüne Streifen zwischen Hoch- und Mittelschloss, der für ritterliche Wettkämpfe genutzt wurde, konnte man ja sehr gut einsehen. Dann um die Ecke herum viele Grabsteine, dahinter ein Rosengarten.
Die Geschichte der Marienburg ist so vielschichtig. Der Deutsche Orden bestand erst aus Priestern, dann zusätzlich auch aus Rittern. Die haben sich mächtig mit den Polen geprügelt. Es ging wie immer um Macht und Reichtum. Da u.a. das Monopol des lukrativen Bernsteinhandels bei Danzig lag, wurde diese Stadt eben belagert, erobert. Wie viele Tote es anschließend unter der Zivilbevölkerung der Stadt, die sich bis zuletzt gewehrt hatte, gab, ist umstritten. Die Burg wurdel übrigens im 15 Jahrhundert verkauft, nachdem sich der ostpreußische Adel mit den Polen zusammengetan hatte, um den Deutschen Orden endlich loszuwerden. Als die ihre Söldner nicht mehr bezahlen konnten, besetzen diese die Burg und verkauften sie schließlich an den polnischen könig. Dann folgte 300 Jahre als polnischer Königshof, der Deutsche Orden verzog sich nach Königsberg. Als Polen im 18. Jahrhundert geteilt wurde, wurde die Burg preußisch und zur Kaserne umfunktioniert. Den Preußen war sie zu teuer, sie wollten sie eigentlich abreißen. Da aber gerade ein Bildband über die Marienburg erschienen war, war dieser Plan nicht mehr umzusetzen. Man begann mit der Restaurierung. Der Zweite Weltkrieg machte alles zunichte, 50 % der Burg wurden zerstört. Polnische Restauratore begannen 1961 mit dem Wiederaufbau, darunter auch die 8 m hohe Marienstatue in einer Nische an der Ostseite der Kirche, die aus 300.000 Glasmosaiksteinen bestand. 1997 wurde die Marienburg Weltkulturerbe. Verdientermaßen!
Ich schaue mir noch die beeindruckende Bernstein-Ausstellung an, dann brennen meine Füße. Die Marienburg ist wirklich beeindruckend!